KQL-Serie Kreative
Künstlerisches Schaffen als Forschungsprozess
Judith Anna Schmidt arbeitet in ihrem Atelier im KQL mit Malerei, Trickfilm, Masken und Performances. Sie will Impulse geben, statt Ergebnisse zu zeigen.
Der Weg von ihrem Geburtsort Heidelberg bis zum Kreativ.Quartier Lohberg führte Judith Anna Schmidt über Paris, Barcelona, Gent und Berlin. Nach ihrem Studium im Ausland ließ sich die Künstlerin 2006 mit ihrer Familie in einem ehemaligen Bauernhof bei Rees nieder. Bei ihrer Suche nach einem attraktiven Ort, um künstlerisch zu arbeiten, stieß sie 2012 auf das KQL. Sie richtete ihr Atelier im ehemaligen Gesundheitshaus der Zeche Lohbberg ein. „Die Arbeitsbedingungen dort finde ich gut, ich kann jederzeit raus auf die Brache gehen und mir Inspirationen holen. Und das Zusammenwirken mit den anderen Künstlern gefällt mir auch sehr.“
Ungeheizter Fabrikraum diente in der Jugend als Atelier
Und so fing es an mit der Kunst: „Als Jugendliche habe ich in Karlsruhe gelebt. In einer alten Fabrik arbeiteten Künstler. Meine Freundin und ich durften dort einen ungeheizten Raum haben, um zu malen. Wir waren zwei, drei Jahre lang oft schon vor der Schule da und anschließend wieder.“
Das freie künstlerische Arbeiten wurde zum Berufwunsch: Judith Anna Schmidt bewarb sich an der Ecole Nationale Supérieure des Beaux-Arts (Pariser Kunstakademie) und begann bald darauf ihr Studium dort. Selbst Waldorfschülerin, brachte sie auch Erfahrungen im Theaterspielen mit.
Bis heute hat sie sich die Vielfalt in ihrem Schaffen erhalten: Die Künstlerin studierte in Paris, Barcelona und Karlsruhe Malerei und Multimedia, erhielt ihr Diplom, vertiefte ihr Interesse an zeitlichen Künsten in ihrem Trickfilm-Studium an der Babelsberger Filmhochschule . Sie verbindet diese Kunstformen einschließlich der Grafik miteinander und hat so die Auswahl, sich auf ganz verschiedene Art und Weise auszudrücken. „Trickfilm hat mich auch als Brotberuf gereizt, je nachdem, wie es mit dem Dasein als freie Künstlerin klappt“, erzählt Judith Anna Schmidt. „Das Spektrum war mir aber zu eng – die freie Kunst bietet mir viel mehr Möglichkeiten. Mich interessiert nicht vorrangig das Können des Malens, sondern das Erproben, wie Malerei wirkt, was sie überhaupt ist.“
Schicht für Schicht das entstehende Werk ausloten
Ein Gemälde, eine Zeichnung, Maske, Installation oder Performance zu entwickeln, ist für die Frau vom Niederrhein eine Art Forschungsprozess. „Ich setze mir ein Thema und experimentiere dann viel. Mal geht es mehr um (innere?) Haltungen, mal mehr um malerische Mittel.“ Sie lotet das Verhältnis von Bild, Raum und Zeit aus und ebenso das von Struktur und Oberfläche. Ihre Werke entstehen Schicht für Schicht, auch durch Übermalungen. „Ich ringe um das Bild.“
Ungewöhnliche Orte ziehen die Künstlerin an, wie damals der Raum in der Fabrik und jetzt die ehemalige Zeche. Im Gesundheitshaus hat es ihr besonders der alte gekachelte Duschraum angetan. Hier Kunst zu zeigen, ist etwas ganz anderes, als Bilder in einen Raum mit weißen Wänden zu hängen. Der Raum spielt sozusagen mit und gibt die Atmosphäre vor. „Er ist nicht schön, hat aber ein starkes Profil.“
Open house mit einer Performance im Duschraum
Für das „open house“ im KQL am 12. und 13. März 2016 bespielte Judith Anna Schmidt den Duschraum mit einem neuen Projekt . „Ich möchte für die open houses mit neuen zeitlichen Formaten experimentieren: Samstagabend mit einem Happening beginnen, und Sonntags den Raum auch für Familien zugänglich machen, erweitert durch ein Kinderatelier“, erklärt die Künstlerin.
Zu dem Titel „Adam und Eva – Variationen, Improvisationen“ arbeitet sie mit unterschiedlichen Künstlern zusammen, um kooperative Strategien zu erproben. Die Gruppe untersucht und entwickelt für den Eröffnungsabend die rhetorischen Mittel einer feierliche Ausstellungseröffnung.
Am Anfang stehen Bilder: von Judith AnnA Schmidt und Isabella Jansen, Malerin aus Amsterdam. "Der Gesprächsverlauf aus anatomischer Sicht“ heisst die Arbeit von Judith AnnA Schmidt. Sie hat mit Aktmodellen zu dem Thema Kommunikation gearbeitet. Die fertigen Zeichnungen, filigran und kräftig, fügen sich jeweils in Gruppen in einer komponierten verdichteten Hängung zu assoziativen Impulsen zusammen, die durch projezierten, gezeichneten Innenraum einer Wohnung erweitert eine Erzählung anstossen.
Isabella Jansen nähert sich dem urzeitlichen Paar aus der Perspektive von „Atmen & Tanz“ .In ihrer Malerei inszeniert und untersucht sie Objekte auf kleinen, sehr konzentrierten Formaten, die durch ihre serielle Hängung in den Raum greifen. Aus diesen beiden visuellen Elementen erwächst das Happening der Ausstellungseröffnung : um den inspirativen Gehalt des künstlerischen Entstehungsprozesses zu beleben, kommen zeitliche Künste dazu.
Raphael Beck,junger talentierter Künstler für Klangkunst , hat eine akkkustische Reflexion zum Paradies entwickelt, die er Spirulina nennt. Matthias Moser aus Dinslaken steuert einen performativen Vortrag über die idealen Proportionen bei Dürer bei. Der Opernsänger Dogus Güney singt " in diesen heiligen Hallen" aus Mozarts Zauberflöte, eine Clownsfigur ( Valerie Moser) erscheint, erheitert und verschwindet, und alles wird live per Video auf die Strasse übertragen, projeziert auf ein flatterndes Segel im Baum ( Jonas Sütel).
Kunst & Kasper, ein mobiler Ausschank sorgt für Wein&Wohl, unterstützt wird die Wirtin Sabine Kasper von Lohberger Jugendlichen. So steht am Eröffnungsabend eine soziale Skulptur im Raum, als Krönung von einem komplexen und inspirierten Arbeitsprozess.
Am Sonntag bewirtschaftet Sandra Dell Anna, Sozialpädagogin, den Atelierraum, ursprünglich für Kinder konzipiert sitzen Gross und Klein am Arbeitstisch und gestalten mit Tonerde, angeregt von der Ausstellung ,ausgehend vom Ei, das Paradies. Unterstützt wird sie von Lohberger Jugendlichen, die zwischendurch auch mal mit einigen Kindern auf der Brache Fussball spielen. Raum für Begegnung und Ausstausch entsteht im Rahmen eines künstlerischen Prozesses.
Assoziationen wecken und Impulse geben
„Mir geht es um die Grenzen zwischen Realität und Fiktion, zwischen abstrakter und gegenständlicher Darstellung“, erläutert Judith AnnA Schmidt. „Im Ergebnis freue ich mich ,wenn die Arbeit als Impuls funktionniert, der Funken überspringt, ich Assoziationen wecken kann, und die Inspiration sich vermittelt.“ Die Kooperation mit Kollegen und mit Menschen aus anderen Berufen und Zusammenhängen erlebt sie als grosse Bereicherung.
Die naturverbundene 39-Jährige lebt sehr gerne mit ihrer Familie auf dem Land und ist viel in der Natur unterwegs. „Der Preis dafür ist die tägliche Fahrerei von Rees nach Dinslaken“. In den Ferien reist die Familie gerne mit dem Wohnmobil nach Frankreich. Für die nähere Zukunft hat die gleichermaßen nachdenkliche wie tatkräftige Künstlerin folgenden Wunsch: „Ich möchte wieder mehr große Formate malen.“ Grosse Malereiformate brauchen einen gründlichen Arbeitsprozess, der zwischen Recherche, Überwindung von Widerständen, meditativen sowie heiteren schwungvollen Momenten einer abenteuerlichen Reise gleicht. Dieses Abenteuer mit offenem Ausgang ist sehr verlockend.
Text Gudrun Heyder / Judith AnnA Schmidt