21.08.2020

Porträtserie Folge 9: Kerstin Biskup - freche Zofe oder Sängerin mit Staubsauger

Kerstin Biskup singt "Ich will keine Schokolade, ich will lieber einen Mann" von Trude Herr. Unten: Kerstin Biskup privat

Kerstin Biskup hat mit Mitte 50 im inklusiven Ensemble „Traumwerkstatt“ die Bühne für sich entdeckt. Ihr umfangreiches Ehrenamt im Theater Halbe Treppe begeistert sie. Ihre erste „Rolle“ war Vorhangzuzieherin, inzwischen traut sie sich viel mehr zu.

Mit Theaterspielen hatte Kerstin Biskup eigentlich nichts am Hut. Als Busbegleitung kam sie zu Lohbergs feinem, kleinen Theater und fand sich später zu ihrer Überraschung auf der Bühne wieder. Busbegleitung bedeutet, dass die gelernte Krankenschwester Beschäftigte der Dinslakener Werkstatt für Menschen mit Behinderungen auf dem Weg zu Theaterproben und währenddessen betreut. „Unterstützung beim Jacke ausziehen, Toilettengänge, all‘ sowas gehört dazu“, sagt Kerstin Biskup.

Seit zehn Jahren im Vorstand der Lebenshilfe

Die nahe Lohberg (sechs Minuten mit dem Rad zum Theater Halbe Treppe) lebende Hobbyschauspielerin gehört seit zehn Jahren dem Vorstand der Lebenshilfe Dinslaken an. „Meine Zwillingstöchter sind 34, eine ist schwer mehrfach behindert und eine ist gesund. Ich war von Anfang an engagiert, im Kindergarten, in der Förderschule in Hünxe, dann in der Werkstatt der Lebenshilfe“, erzählt Kerstin Biskup. Der Umgang mit behinderten Menschen ist für sie selbstverständlich und macht ihr viel Freude. Ihre Tochter lebt seit zehn Jahren in einer Wohnstätte, so dass sie mehr Zeit für eigene Interessen fand.

Zehn Schauspieler*innen aus der Werkstatt nehmen teil

Dazu zählt ihr Engagement in der Lebenshilfe und seit der Gründung des Ensembles „Traumwerkstatt“ auch dort. Kordula Völker, ausgebildete Erzieherin, Diplom-Sozialpädagogin und Diplom-Theaterpädagogin, rief die Gruppe 2017 in Kooperation mit den Albert-Schweitzer-Einrichtungen in Dinslaken ins Leben. Zehn Schauspieler*innen aus der Werkstatt der Einrichtungen nehmen teil und sechs Mitwirkende gehören zum Ehrenamtsteam der Kleinkunstakademie. „Die Werkstattbeschäftigten sind alle relativ fit, können laufen und auf der Bühne agieren, einige können sich aber nur schwer Texte merken“, erklärt Kerstin Biskup. „Viel läuft über Gesang.“

Riesiger Spaß beim Proben und auf der Bühne

Für die Ehrenamtlichen bedeutet das quasi Doppelrollen auf der Bühne: Sie spielen ihren eigenen Part und unterstützen zugleich die Akteurinnen mit Behinderungen. Zum Beispiel  verkörperte Kerstin Biskup in der zweiten Produktion der „Traumwerkstatt“ eine vorlaute Zofe, die dem Königspaar ständig ins Wort fiel. „Diese Bevormundung diente dazu, der Königin ihre Stichworte zu geben.“ Gemeinsam hat das ganze Team riesigen Spaß beim Proben und auf der Bühne, und die Werkstattbeschäftigten blühen auf, wenn sie ihre Talente vor großem Publikum zeigen können.

Bühnenlaufbahn als persönliche Weiterentwicklung

Aber auch für Kerstin Biskup bedeutet ihre Bühnenkarriere von der Vorhangschieberin bis zur Solosängerin mit Staubsauger eine persönliche Weiterentwicklung. „Ich hätte nie gedacht, dass mir Theaterspielen liegt und so viel Freude macht. Kordula hat da wohl was aus mir rausbuddeln können.“ Die Anstrengung und Ausdauerleistung sind dabei nicht zu unterschätzen, denn bis eine Produktion steht, brauchen die behinderten Schauspieler*innen viel Hilfestellung und Motivation.  

Jedes Jahr eine neue Produktion

Jedes Jahr kommt ein neues Stück auf die Bühne, das mit Improvisationen zu einem Thema beginnt. Die Regie und Spielleitung entwickelt daraus ein Text- und Rollenbuch. Die 2020-er Premiere von „Lollipop und das Wunder von Loh“ wurde durch Corona ausgebremst. „Sie sollte im Mai sein, wie es nun weitergeht, wissen wir noch nicht“, bedauert Kerstin Biskup. Denn mit dem speziellen Ensemble sei kein Theaterspielen auf Distanz möglich, das erfordere Nähe, Umarmungen, viel direktes Lob. So harren nun alle der Dinge und vermissen sich.

Dienste an der Kasse und hinter der Theke

Kerstin Biskup wirkt nicht nur im Ensemble mit, sondern wuchs in zusätzliche Aufgaben hinein: Dienste an der Kasse und hinter der Theke, Flyer verteilen und was so anliegt. „Ich freue mich sehr, Teil dieses Theaters sein zu dürfen“, sagt die zugewandte 60-Jährige. Das geht wohl allen Mitgliedern so, denn das Ensemble der „Traumwerkstatt“ ist bis auf wenige Ausnahmen seit Jahren konstant. Für die Menschen, die nicht zu den Aufführungen in Lohberg kommen können, führt die Gruppe alljährlich beim Weihnachtsmarkt der Lebenshilfe ein kurzes Stück auf. „Der Stadtteil Lohberg ist ja zurzeit sehr im Umbruch und durch die vielen Zugezogenen im neuen Wohnviertel kommen hoffentlich auch viele neue interessiere Menschen in unser Theater“, hofft Kerstin Biskup.

Kleinkunstbühne während der Pandemie lebendig erhalten

Bis sie selbst wieder auf der Bühne stehen kann, unterstützt Kerstin Biskup weiterhin Theaterchefin Kordula Völker dabei, die Kleinkunstbühne während der Pandemie lebendig zu erhalten. „Kürzlich gab es wieder eine open air-Aufführung, da war ich acht Stunden von zuhause weg. Aber wenn es Spaß macht, verfliegt die Zeit.“

Text: Gudrun Heyder

Fotos: privat

Kontakt zur „Traumwerkstatt“: Kordula Völker, kordula.voelker@kleinkunstakademie.de

Ehrenamtliche Unterstützung ist immer willkommen, Infos erteilt Kordula Völker.

Bisherige Produktionen
2017  Die Dinslakener Stadtmusikanten (nach einem Märchen der Gebrüder Grimm)
2018  Arthur und die Liebe – Ein Schmusikal in 3 Akten (Eigenproduktion)
2019  Das Schlossdrama – Ein improvisiertes Weihnachtsstück (Eigenproduktion)2020  Lollipop und das Wunder von Loh – Ein Schmusikal in drei Akten (Eigenproduktion). Die Premiere wurde auf das Frühjahr 2021 verschoben.