29.05.2020

Lohberger Porträts, Folge 5: Edith Mendel, Büchereileiterin aus Leidenschaft

Oben: Ein Blick in die Bücherstube. Unten: Edith Mendel.

Edith Mendel hat vor 40 Jahren die Bücherstube Lohberg aufgebaut: ein Sprung ins kalte Wasser. Schon als Siebenjährige verschlang die Weselerin den umfangreichen Roman „Vom Winde verweht“ und beschloss bald darauf, Diplom-Bibliothekarin zu werden. Heute liest sie am liebsten Bücher über die Arktis und Antarktis.

„Mein Lesehunger war nicht zu stillen“, erinnert sich Edith Mendel an ihre Kindheit. Sobald sie lesen konnte, was ganz schnell ging, stürzte sie sich in die Welt der Geschichten. Mit sieben Jahren griff sie sich den weltberühmten Schmöker „Vom Winde verweht“ aus dem elterlichen Bücherregal und war fasziniert von Scarlett O’ Haras eleganten Kleidern und der tragischen Liebesgeschichte. Ihre Mutter fand, für derlei Lektüre sei sie noch zu jung und meldete Edith in der Bücherei an.

Bücherei als zweites Zuhause

„Ich betrat die Bücherei und dachte: Das ist mein zweites Zuhause. Es war damals die letzte Thekenbibliothek in Deutschland. An der Theke habe ich gesagt, was ich gerne lese, und dann haben die Bibliothekare passende Bücher für mich ausgesucht.“ Edith Mendels Berufswunsch stand bald darauf fest. „Als ich ‚Götter, Gräber und Gelehrte‘ gelesen hatte, wollte ich Archäologin werden, als ich ‚Jesus Christ Superstar‘ gesehen hatte, Theologin, aber nur für kurze Zeit.“

Seit 1977 in der Stadtbibliothek Dinslaken

In Köln absolvierte Edith Mendel das Studium zur Diplom-Bibliothekarin.1977 kam die junge Literaturexpertin für drei Monate als Krankheitsvertretung in die Stadtbibliothek Dinslaken, und sie blieb bis heute. 2021 geht die Leiterin der kommunalen Bibliotheken in Rente. Im Jahr 2005 folgte sie Jens Hundrieser in dieser Funktion nach, als er sich in den Ruhestand verabschiedete. „Als ich in der Bücherei anfing, war meine Tochter drei und ich habe erst halbtags gearbeitet, später mehr.

Liebesgeschichte mit der Bücherstube

Am 2. Juni 1980 eröffnete die Bücherstube Lohberg (siehe Bericht unter „Aktuelles“) und Edith Mendel wurde mit der Leitung betraut. Nun blickt sie auf 40 Jahre Bücherstube zurück – auch eine Art Liebesgeschichte: zwischen Edith Mendel, den Büchern und den Menschen in Lohberg.

Berufswahl keinen Tag lang bereut

„Die Bücherstube, das war in den ersten Jahren Versuch und Irrtum“, blickt die Bibliothekarin zurück. Als Pionierin lernte die junge Büchereichefin drei Semester lang Türkisch in der Volkshochschule. Denn ihr war von Anfang an klar, dass die Bücherstube – zugleich die erste multikulturelle Begegnungsstätte im Stadtteil – zweisprachig sein müsse. In vier Jahrzehnten hat Edith Mendel viele Lohberger*innen aller Generationen persönlich kennengelernt. Die persönliche Atmosphäre des „sozialen Wohnzimmers“ Bücherstube hat sie immer sehr geschätzt. „Ich habe meine Berufswahl keinen Tag lang bereut", erzählt die 64-Jährige.

Vorliebe für dicke Familienromane

Dennoch ist nächstes Jahr Schluss mit der beruflich bedingten Lektüre. Lesen wird sie selbstverständlich weiterhin mit Leidenschaft, am liebsten dicke Familienromane, deren Handlung sich über mehrere Generationen erstreckt – „wie die Buddenbrooks“ – und Bücher über Expeditionen zur Arktis und Antarktis: Scott, Amundsen, Shackleton, Arved Fuchs, mit ihnen allen ist Edith Mendel in Gedanken an die Pole gereist. Auch im Urlaub zieht es sie in den hohen Norden. „Letztes Jahr war ich auf Grönland und Island, diesen Sommer sollte es Spitzbergen sein, aber daraus wird wohl wegen Corona nichts“, vermutet sie. Nun, dann kann sie sich verstärkt ihren heimischen Hobbys widmen: Lesen, ihren Enkelsöhnen, dem Musikhören und dem Nähen.  

Hüterin von 136.000 Medien

Fleißig genäht hat die Leiterin der Stadtbibliothek auch mit ihren Kolleginnen in der Bücherstube. Nachdem sie wegen der Viruspandemie schließen mussten, haben sie sich an die Maschinen gesetzt und Masken fabriziert. „Bis uns die Gummibänder ausgingen. Gummibänder sind das neue Klopapier“, scherzt Edith Mendel. Sie freut sich sehr darüber, dass die Bücherstube nun immerhin an zwei Tagen in der Woche wieder öffnen kann. Denn die Lohberger*innen, die haben oft so viel Lesehunger wie die Hüterin der 136.000 Medien.

Text: Gudrun Heyder

Fotos: Stadt Dinslaken / privat