09.03.2020

Neue Serie Lohberger Porträts, Folge 1 - Silvo Magerl: Traumberuf Bergmann

Silvo Magerl nach der Seilfahrt. Oben: historische Bilder aus Lohberg.

Von Gudrun Heyder

Der 61-Jährige Silvo Magerl hat sich vom Schlosser zum Bergbauingenieur hochgearbeitet. Auch heute ist er Lohberg sehr verbunden und setzt sich für die Tradition des Bergbaus ein.

Was für ein Leben: Als Vierjähriger kam Silvo Magerl mit seinen Eltern aus Slowenien nach Voerde. Er lernte Schlosser, wurde Steiger und machte Karriere bis zum Bergbauingenieur. 30 Jahre hat der 61-Jährige auf der Zeche Lohberg gearbeitet. Heute mischt er im Stadtteil unter anderem als Sprecher des DIZeums und des Bergbaunetzwerks Lohberg mit. Seine Führungen auf der ehemaligen Zeche sind beliebt, denn Silvo Magerl vermittelt gelebte Geschichte authentisch. Um klare Worte auch zu politischen Themen ist der engagierte Ruheständler nie verlegen.

Und so fing alles an: Silvo Magerls Vorfahren stammen aus Bayern und wanderten nach Slowenien aus. 1963 verließ seine Familie Slowenien, die Spätaussiedler konnten sich problemlos in Voerde niederlassen. „Ich fühlte mich nie als Ausländer und habe einen anderen Blick auf das Thema Integration“, erzählt der in Wesel lebende Bergbauingenieur. – Dazu später mehr.

„Bergmann war damals unter meinem Niveau“

„Meine Mutter war streng katholisch: Wenn ich krank war, durfte ich eher der Schule fernbleiben als der Kirche.“ Jeden Sonntag die Messe zu besuchen, war oberste Pflicht für Silvo. Nach der Mittleren Reife wollte er Biologie- oder Chemielaborant werden, in den Fächern hatte er immer die Note eins. „Bergmann war unter meinem Niveau“, blickt Silvo Magerl amüsiert zurück. Da er keine der raren Lehrstellen ergatterte, blieb er erstmal zuhause. „Mein Vater war sehr streng und verlangte, ich müsse nun in die Ausbildung.“ Also bewarb sich der Jugendliche auf der Zeche Lohberg – deren Existenz ihm erst als Zehnjähriger bewusst wurde. „Ich habe den riesigen Förderturm gesehen und nur noch gestaunt.“

1975 begann er die Ausbildung zum Schlosser: dreieinhalb Jahre, gestempelt wurde um Punkt 6.00 Uhr, kam man zu spät, gab es um 6.01 Uhr schon eine Rüge. „Anschließend habe ich sechs Jahre lang unter Tage Maschinen für den Abbau repariert. Die Konkurrenz war groß: Wer direkt im Abbau arbeitete, hielt sich für etwas Besseres, und das bekam man auch zu spüren,“ erinnert sich Silvo Magerl. Dann besuchte er zwei Jahre lang die Steigerschule in Moers.

Sechs Jahre Nachtschicht – Work-Life-Balance?

Sechs Jahre in Folge malochte der junge Bergmann nachts. „Als Steiger im Maschinenbetrieb wurde ich dem Abbau zugeordnet.“ Die wichtigen Reparaturen fanden nachts statt, und Silvo Magerl, der vom Elternhaus her Gehorchen gewohnt war, muckte nicht auf, sondern fügte sich drein. Von 24.00 bis 8.00 Uhr dauerte die Schicht. „Als Steiger war man immer eine Stunde vor und natürlich auch nach der Schicht für die Rapporte zusätzlich anwesend“, erklärt Silvo Magerl. „Im Nachhinein betrachtet war das eine schreckliche Zeit. Ich habe nach der Schicht so bis zwei, drei Uhr mittags geschlafen. Aber auch danach war ich nie so richtig wach.“ Seine Frau übernahm die klassische Rolle, bewältigte den Alltag und kümmerte sich um die kleine Tochter.

„Ein anderer Mensch in der Frühschicht“

„Die Nachtschicht hatte aber auch Vorteile“, erklärt Silvo Magerl. „Man konnte sich den Tag frei einteilen. Manche Kollegen sind nach dem Frühstück erstmal mit ihrer Frau einkaufen gefahren.“

„Als ich später Reviersteiger wurde und in die Frühschicht kam, dachte ich: Du bist ein anderer Mensch. Um 16.00 oder 17.00 Uhr war ich zuhause.“ Nun, jeden Tag um kurz nach vier Uhr morgens am Arbeitsplatz zu sein und das als Luxus zu empfinden, zeigt, dass Silvo Magerl ein „harter Knochen“ ist. Versüßt wurde der Aufstieg zum Reviersteiger aber auch mit einer kräftigen Gehaltserhöhung.

Magerl, der Problemanalyst - Karriereschritte

Silvo Magerl machte sich einen Namen als Problemlöser. Einen technischen Fehler zu analysieren und zu beheben, war seine Stärke. Sie verhalf ihm zum Karriereschritt als Reviersteiger. „Mein festes Revier war sechs, aber im Revier drei fuhr sich die Walze immer fest.“ Nichts ging mehr, Magerl musste her. „Dass ich das Problem lösen konnte, ging wie ein Lauffeuer durch die Führungsetage“, berichtet der Bergmann. Eine Stelle als Reviersteiger war frei geworden und Silvo Magerl wurde mit dieser Führungsaufgabe betraut. 120 Männer hörten fortan auf sein Kommando. 

Ab 1995 absolvierte er dann zwei Semester an der Fachhochschule, um Bergbauingenieur zu werden. Dazulernen, sich weiterbilden, um noch mehr Verantwortung zu tragen, das war „sein Ding“. Die Schließung der Zeche Lohberg hat Silvo Magerl nicht vor Ort miterlebt. „Sonst hätte ich gelitten wie ein Hund!“ Zwei Jahre zuvor wechselte er zum Bergwerk Lippe und wurde dort Leiter der technischen Planung. „Eine Arbeit, die ich wegen meiner Erfahrung nur genossen habe.“

Der Spätaussiedler und die Integrationsfrage

„Unter Tage war Multikulti“, erzählt Silvo Magerl. Die Kumpel stammten aus der Türkei, aus Polen, aus Südkorea, auch ein Elektrosteiger aus Japan und ein US-Amerikaner gehörten dazu. „In Lohberg gab es viele Sprachkurse, weil jeder die Grundbegriffe aus dem Bergbau auf Deutsch beherrschen musste.“ Die so oft beschworene Kameradschaft unter Tage, die hat auch Silvo Magerl über Jahrzehnte erlebt. „Mein bester Kollege war Türke – so ein feiner Mensch!“

Dass heute eine politische Partei in allen Landtagen und im Bundestag sitzt, die auf Nationalismus und Patriotismus pocht, widerstrebt Silvo Magerl zutiefst. Aus welchem Land jemand stammt, ist ihm so was von egal. „Ich stemme mich gegen den Rassismus“, betont der Weseler energisch. 

Der Bergbauingenieur zur Energieversorgung

Das Ende des Steinkohlenbergbaus in Deutschland und den absehbaren Verzicht auch auf die Braunkohle sieht der Bergbauingenieur kritisch. „Ein Riesenfehler.“ Das Engagement junger Leute für „Fridays for future“ findet er zwar gut, denn „die Klimaerwärmung ist da“. Nur mit erneuerbaren Energien sei die weltweite Energieversorgung aber nicht zu leisten, meint der Steinkohleexperte. „Windkraft ist vom Wind abhängig und Solarenergie vom Sonnenschein. Außerdem will hier niemand auf seinen Wohlstand verzichten und in anderen Ländern wollen die Menschen erstmal Wohlstand erreichen.“

Die Materie sei komplex, und „sichere CO2-neutrale Atomkraftwerke in Deutschland wegen Fukushima abzuschalten“, möglicherweise falsch. Ingenieur Silvo Magerl wünscht sich, dass die Verantwortlichen alle Vor- und Nachteile sämtlicher Energieformen nach wissenschaftlichem Stand gegeneinander abwägen.

Tradition des Bergbaus lebendig halten

An die Tradition des Bergbaus will Magerl mit seinen Führungen in Lohberg erinnern, und im Ring Deutscher Bergingenieure ist er bundesweit 2. Vorsitzender, im Bezirksverein Niederrhein 1. Vorsitzender.

Traumberuf Bergmann – der „kleine König“

„Der Bergbau hat mir so viel gegeben, ich möchte auch etwas zurückgeben“, begründet Magerl seinen Unruhestand. „Als Facharbeiter habe ich angefangen und in keinster Weise an eine Karriere gedacht. Schon Steiger zu werden, war für mich der absolute Hammer. Mit meinem weißen Helm habe ich mich gefühlt wie ein kleiner König. Ich wollte ja gar kein Bergmann werden. Aber ich bin da reingewachsen, hatte Erfolg und dann hat es Spaß gemacht. Ich habe meinen Traumberuf gefunden.“ 

Ein Berufsleben, wie Silvo Magerl es erlebt hat, wird es nicht mehr geben. Aber eine Biografie schreiben, um seine Erfahrungen für die Nachwelt zu erhalten, will der Weseler nicht. „Es gibt schon so viele Memoiren aus dem Bergbau. Ich bin nicht so profilneurotisch, dass meine noch dazu kommen müsste. Lieber erzähle ich den Menschen bei den Führungen von der Welt unter Tage. Das Feedback ist immer sehr positiv“, freut sich der Bergmann, dessen Gruß nach wie vor „Glückauf“ lautet.

Vielfach aktiv in Lohberg – was der Stadtteil braucht

Das Lohberg östlich der Hünxer Straße war 30 Jahre lang Silvo Magerls Lebensmittelpunkt. Und genau diese Straße sieht der Ingenieur als Hindernis, um den Stadtteil richtig zusammen wachsen zu lassen. „Die Straße ist viel zu stark befahren, vor allem von LKW.“ Ein bekanntes Problem.

Silvo Magerl engagiert sich für die „Blaue Bude“, und er würde er es sehr begrüßen, wenn die türkischstämmige Bevölkerung Angebote dort und etwa im Ledigenheim stärker wahrnähme. „So ein Zusammenhalt wie unter Tage wäre perfekt. Um das zu erreichen, müssen wir die Menschen aktiv ansprechen und einbinden.“ 

INFO - Führungen mit Silvo Magerl

Wer Silvo Magerl als kundigen Gästeführer kennenlernen möchte, ist hier richtig:

Der Bergmann Silvo Magerl führt über das Bergwerk. Er hat sein gesamtes Arbeitsleben auf Lohberg verbracht. Er schildert anschaulich die harte Arbeitswelt unter Tage und hat auch Geschichten rund um das Bergmannsleben parat. Die Ende 2005 geschlossene Zeche Lohberg war für die Bergarbeiter nicht nur eine Arbeitsstätte – sie war Lebensmittelpunkt. Bei dem Rundgang erzählt Silvo Magerl Erlebnisse und Anekdoten. Es geht dabei um viele Aspekte, die das Arbeiten auf einer Zeche mit sich brachte. Es geht um schwarze Augenränder, die Plüngelstube, die Kaue, die Steigerstube, die Einfahrt in die Grube, das Malochen unter Tage, das Kumpel sein und vieles mehr.

Termine: jeweils Sonntag, 17.05., 26.07., 20.09., 25.10., immer 15:00 - 17:00 Uhr

Kosten: 7,50 € pro Person, Info & Buchung: Stadtinformation am Rittertor, Tel. 02064 - 66 222 | stadtinformation@dinslaken.de

Auf Anfrage sind auch weitere Termine für Gruppenführungen möglich.

Im Programm der Blauen Bude sind diese Termine angekündigt unter dem Titel „Führung mit dem Obersteiger übers Püttgelände“ mit dem Zusatz „Zum Abschluss gibt’s Schmalzdubel und Korn in der Blauen Bude“.