Premiere: Beeindruckende Bilder erzählen vom weiten Weg der Flucht
RuhrTriennale: „The Welcoming Party“ feierte Deutschlandpremiere in der Zechenwerkstatt: eine großartige Ensemble-Leistung in einem idealen Gebäude.
Einen eindrucksvollen, mitreißenden Premierenabend erlebte das Publikum im Kreativ.Quartier Lohberg: Die Zechenwerkstatt wurde durch Bühnenbild, Licht und Sound sowie die starken Performer*innen in ein Gesamtkunstwerk verwandelt. (Einige) Kinder und etwa 80 Erwachsene folgten hoch konzentriert der Handlung um den syrischen Flüchtling Mohammad kreuz und quer durch das historische Gebäude.
Beklemmende und poetische Bilder
Ein Reigen einzelner Szenen schildert packend und authentisch die gefährlichen und beängstigenden Erlebnisse des jungen Syrers. Seine Odyssee aus seiner vom Krieg zerstörten Heimat bis nach Deutschland kleidet Regisseurin Sue Buckmaster mit ihrem Team in teils beklemmende, teils poetische Bilder. Die Vielfalt der Darstellung und die Leistung des Ensembles lässt angesichts von nur drei Wochen Probenzeit staunen.
Lebendig wirkende Puppen
Ein wogendes Meer aus Plastikfolie, eine Gebirgslandschaft aus Tüchern, Rettungswesten, die in das wackelige Boot gedrängte Flüchtlinge symbolisierten – mit einfachen Mitteln entfalten die Szenen ihre Ausdruckskraft. Eine kleine Puppe als verwirrtes fünfjähriges Flüchtlingsmädchen Dela, eine große Puppe als traurige Mutter des Abschied nehmenden Mohammad, sie wirken, von den Dasteller*innen geführt, erstaunlich lebendig.
Kindgerecht und dramatisch
Mobile Drahtkäfige bilden Gefängnis und Lager, aus kleinen Kisten und Schachteln „entblättert“ sich der lange Wechsel von Abschied und Ankommen des Flüchtlings Nassim. Kindgerechte Erzählungen wie aus dem Bilderbuch wechseln sich ab mit dramatischen Aktionen wie der Flucht über das Meer. Oft ist es duster in der großen Halle, das Publikum muss auf seine Schritte achten – die Finsternis trägt zur intensiven Stimmung bei.
Eigene Erfahrungen mit Flucht
Die jungen Schauspieler*innen und Tänzer*innen aus Afrika, Asien und Europa kennen Flucht und Neuanfang in der Fremde aus eigener Erfahrung, und das ist zu spüren. Sie agieren immer in der Nähe des Publikums, sprechen es direkt an und beziehen es in einer Szenenfolge in die Handlung ein: Auch die Zuschauer*innen geraten in die bürokratischen Mühlen, die Flüchtlinge über sich ergehen lassen müssen.
Eindringlicher Appell ans Publikum
Der Appell am Ende des eindreiviertel Stunden langen Theaterereignisses an die Gäste ist eindringlich: Mohammad hat die Flucht überlebt und stößt auf wohlwollende, hilfsbereite Frauen und Männer. Aber es gibt unendlich viele Menschen, die in ihrer Heimat keinerlei Zukunft haben und darauf angewiesen sind, dass wir ihnen mit Mitgefühl und offenen Herzens begegnen.
Wünsche auf Postkarten
Nach dem kräftigen Schlussapplaus laden die Performer*innen die Zuschauer*innen dazu ein, auf Postkarten ihre Wünsche für verfolgte und geflüchtete Menschen in bunten Farben zu formulieren. Viele folgen dem Aufruf und schreiben von Freiheit, Frieden, Sicherheit und politischer Verantwortung. Lediglich farbenfrohe Herzen schmückten eine der Karten: ein Bild für Empathie, das Menschen aus allen Kulturen verstehen.
Verständnis für grundlegende Menschenrechte
„Die Flüchtlingssituation geht uns alle an und ist eine komplexe Erfahrung. Vor allem hoffe ich, dass The Welcoming Party Mitgefühl und Verständnis für grundlegende Menschenrechte auslösen und uns helfen kann zu erkennen, dass der einzige Weg nach vorn darin liegt, Veränderung zu akzeptieren und in einen Austausch zu kommen“, schreibt Sue Buckmaster im Programmheft.
Theater kann nicht aktueller sein
In Zeiten der erschütternden Ereignisse in Chemnitz und den darauffolgenden Worten des Bundesinnenministers „Migration ist die Mutter aller Probleme“ kann Theater nicht aktueller sein. Der internationalen Gruppe Teatres-Rites gelingt es, mit den Mitteln der Kunst ins Bewusstsein zu rufen, dass alle Menschen das gleiche Recht auf ein Leben in Frieden und Freiheit haben. Es geht hier nicht um Belehrung, sondern mitten in Lohberg bietet sich die Chance, sich unmittelbar von der Kraft der Sprache und der Bilder berühren zu lassen.
Text: Gudrun Heyder
Fotos: Volker Beushausen, RuhrTriennale
Infos
https://www.ruhrtriennale.de/de/agenda/22/Theatre_Rites_Sue_Buckmaster/The_Welcoming_Party/
http://kql.de/de/bausteine/20180425_triennale.php
Regie: Sue Buckmaster
Bühne, Kostüme: Simon Daw
Choreografie: Jamaal Burkmar
Musik, Sounddesign, Frank Moon
Zusatzmusik, Sounddesign: Jon Gingell
Licht: Mark Doubleday