Lebhafte Diskussion mit Zeitzeugen und Künstlern
Bei der Sonderführung „Neue Kunst und alte Arbeitswelten in historischen Gebäuden“ stand im Mai 2015 das Fördergerüst von Schacht 2 im Mittelpunkt. Der ehemalige Bergmann Hermann Dolar zog die Gäste in seinen Bann.
Lebhafte Diskussionen statt belehrender Monologe, authentische Zeitzeugenberichte statt trockener Wissensvermittlung, darauf setzt Gästeführerin und Stadtplanerin Anja Sommer bei ihren Exkursionen im KQL. Ein Bergmann, der 40 Jahre lang auf Lohberg war – wer könnte spannender vom Berufsleben unter Tage erzählen? Hermann Dolar, Vorsitzender des Knappenvereins „Glück auf Lohberg“, ließ die Gäste der Sonderführung an seinen Erlebnissen teilhaben. „Alle hingen an seinen Lippen“, freut sich Anja Sommer. Im Interview mit KQL-Website-Redakteurin Gudrun Heyder schildert sie die Höhepunkte der Führung.
Gudrun Heyder: Welche Teilnehmer konnten Sie zu dieser Führung begrüßen?
Anja Sommer: Es war eine bunt gemischte Gruppe aus Damen und Herren, die sich vor allem für Kunst interessierten, ehemaligen Bergleuten, Mitgliedern des Lohberger Knappenvereins und weiteren Gästen aus Dinslaken, Duisburg, Oberhausen, Moers und Kamp-Lintfort.
Welchen thematischen Schwerpunkt hatte die Sonderführung?
Im Mittelpunkt stand das zentrale Wahrzeichen der Zeche, das Fördergerüst von Schacht 2. Dieses markante Fördergerüst war 1955, im Jahr seiner Errichtung, mit 70,8 Metern eines der höchsten im Ruhrbergbau. Die Konstruktion stammt von dem renommierten Industriearchitekten Fritz Schupp. Auf dem großen Platz vor dem Fördergerüst habe ich über die architektonischen und konstruktiven Besonderheiten informiert und über Vergleichsbauten im Revier gesprochen, wie zum Beispiel die Fördergerüste von Zollverein, dem Bergbaumuseum Bochum und der Zeche Ewald, die alle von Fritz Schupp entworfen wurden. Mein Part war also die städtebauliche Einordnung. Der Zeitzeuge Hermann Dolar hat von seinem Arbeitsalltag unter Tage berichtet und vom täglichen Weg des Bergmanns vom Pförtnerhaus bis zum Abbauort der Kohle.
Welchen Beruf hat Hermann Dolar auf der Zeche Lohberg ausgeübt und wie lange?
Er hat 1948 als Bergehrling angefangen und war schon an der Kohle, als er noch keine 18 Jahre alt war. Er arbeitete viele Jahre als Hauer, unterbrochen von einer Zwischenphase in der Bergvorschule. Später wurde er Aufsichtshauer (Kolonnenführer) und in den letzten Jahren war er für die Sicherheit unter Tage verantwortlich. Insgesamt hat er 40 Jahre lang hier gearbeitet.
Was hat er den Teilnehmern der Führung erzählt?
Zum Beispiel, dass er die Kohle noch mit Schüppe und Hacke abbauen musste, was sehr anstrengend war. Aber auch als die Abbauhammer Einzug hielten, wurde es erst mal nicht einfacher, denn diese Geräte waren schwer und die Kohle hart, so dass der Hammer mit dem schmächtigen Jugendlichen machte, was er wollte. Und Herr Dolar hat erzählt, dass er auch Pferdejunge für die Grubenpferde war, die unter Tage im Kohletransport eingesetzt wurden. Schlaue Tiere – eins bekam Zucker, ein anderes klaute sein Butterbrot aus der Dose und zwei Pferde bekamen sogar Schnupftabak. Nur einmal im Jahr durften sie über Ostern für drei Tage aus dem Schacht heraus – mit verbunden Augen, weil sie über Tage sonst erblindet wären. Das war hoch interessant für die Gäste.
Wie wichtig sind diese lebendigen Zeitzeugenberichte?
Sie sind sehr wichtig, denn wenn man diese Welt unter Tage nicht selbst erlebt hat, ist sie nur schwer zu vermitteln. Deshalb bin ich froh und dankbar, dass sich immer wieder Zeitzeugen finden, die unseren Besuchern gerne von früher erzählen. Die Interviews mit ihnen werden außerdem dokumentiert.
Um welche Themen ging es noch bei der Sonderführung?
Diese Führungen stehen unter dem Oberbegriff „Neue Kunst und alte Arbeitswelten“, das heißt, ich stelle die Arbeit damals im Bergwerk der Arbeit heute im Kreativ.Quartier gegenüber. Wir haben die Künstlerinnen Sabine Hulvershorn und Walburga Schild-Griesbeck in ihren Ateliers im ehemaligen Sozialhaus besucht. Sabine Hulvershorn hat ihre Räume vorgestellt, die früher Büros der Ausbildungssteiger waren. Sie meinte, dass diese Räume eine Ruhequelle für sie darstellen, in denen sie in ihre Arbeit als Malerin und Kunsttherapeutin gut eintauchen kann.
Was haben die Künstler von ihrem eigenen Arbeitsalltag in den historischen Zechengebäuden erzählt?
Dass sie keineswegs dort sitzen und darauf warten, dass die Muse sie küsst, sondern dass selbständig arbeitende Künstler neben dem kreativen Schaffen viele Aufgaben zu erledigen haben. Sie müssen ihre Kunst ausstellen und vermarkten, um davon leben zu können. Walburga Schild-Griesbeck, eine der ersten Künstlerinnen im KQL, hat sich daran erinnert, dass sie die hilfsbereiten, manchmal ruppigen Bergleute erst gar nicht verstanden hat und ihre Sprache richtig lernen musste.
Was hat es mit der Bergmannssprache auf sich?
Es gibt viele spezielle Begriffe und Unterschiede zur Alltagssprache. Ich habe beispielsweise die schwarze Kleidung der Mitglieder des Knappenvereins als Uniform bezeichnet. Das ist aber eine Tracht und dieser Flapsus kostet im Knappenverein dann mal schnell eine Runde. Und die Bergleute sprechen lieber vom Bergwerk als von der Zeche. Der Künstler Peter Griesbeck war übrigens selbst Steiger. Walburga hat einen kleinen Teil seiner Arbeiten gezeigt. Er bringt seine Erfahrungen als Bergmann unmittelbar in seine Kohlebilder und Skulpturen ein, für die er Gegenstände auf der Zeche sammelt.
Gab es weitere Begegnungen mit Kunstschaffenden?
Ja, im Bergpark habe ich den Teilnehmern die neuen Kunstwerke vorgestellt, die dort im Rahmen des Projekts „Choreografie einer Landschaft“ entstehen. Der Künstler Martin Kaltwasser war vor Ort und hat der Gruppe auch selbst etwas zu seinem Werk erklärt. Und wir haben die Zentralwerkstatt besucht, in der zurzeit das Festival „Sommer of Love“ stattfindet.
Also haben Ihre Gäste eine Fülle ganz verschiedener Eindrücke bekommen.
Ja, und die Diskussionen waren sehr lebhaft – über die Kunst, das Leben als Künstler, die denkmalgeschützte Architektur der Zeche und über die Erlebnisse des Zeitzeugen. Das war eine runde Sache, die allen – auch mir – sehr viel Spaß gemacht hat.
Wie laufen die Führungen in diesem Jahr insgesamt?
Sehr erfreulich. Wir haben das Angebot für dieses Jahr etwas ausgeweitet, weil die Nachfrage im letzten Jahr so groß war. Alle Führungen waren bisher ausgebucht. Das letzte Wochenende war besonders intensiv, da ich außer der Sonderführung auch eine private Führung mit Dinslakens stellvertretendem Bürgermeister Thomas Gross durchgeführt habe inklusive einer Andacht unter dem Förderturm und eine weitere Führung unter dem Titel „Landschaftsraum Zeche“ am Sonntag stattfand. Daran haben auch die angehenden Parkwerk-Stadtteilführer, die ich zurzeit mit der Theaterkünstlerin Britt Jürgensen schule, teilgenommen.
Worum ging es bei der Führung mit dem Schwerpunkt Landschaftsraum?
Um die verschiedenen Landschaftstypen, Tiere und Pflanzen, um versteckte Biotope und Landmarken und die neuen Strukturen des Bergparks wie den Lohberger Weiher oder den Corso, da gibt es viel Überraschendes zu entdecken, was die Gäste begeistert. Ein Dauerthema ist auch die Frage, ob die Hünxer Straße verkehrsberuhigt wird. Dazu kann ich natürlich nichts Verbindliches sagen und es gibt keine Ideallösung. An diesem Beispiel kann ich den Teilnehmern aber gut erläutern, wie Stadtplanungsprozesse ablaufen und wie der Strukturwandel funktioniert.
Die Themen Ihrer Führungen sind sehr umfassend – gibt es bereits neue Pläne?
Was wir gerade für das nächste Jahr testen, sind Fahrten auf die Halde mit einem historische Trecker und einem Planwagen. Dazu soll auch ein Picknick gehören.
Das klingt super, viel Erfolg!
Danke sehr.
INFO
Die Termine der Führungen über das Zechengelände und durch die Gartenstadt Lohberg stehen auf www.kreativ.quartier-lohberg.de.
Anmeldung und weitere Informationen zu Terminen und Gruppenbuchungen: Anja Sommer, Tel.: 02064-428533, info@sommerfilz.de
Treffpunkt ist jeweils am Haupteingang der Zeche Lohberg, dem ehemaligen Pförtnerhäuschen an der Hünxer Straße 368 in Lohberg. Die Gebühr beträgt je nach Führung 8,- €/10,- € pro Person. Die Teilnehmerzahl ist auf 20 Personen beschränkt. Festes Schuhwerk ist erforderlich!
Zusätzliche Termine für private Gruppen, Schulklassen oder Studiengruppen können für alle genannten Führungen (ohne Zeitzeugen) vereinbart werden. Eine Kombinationsführung „Gartenstadt und Zeche“ ist ebenfalls möglich. Besichtigungen von Kirchen, einer Moschee oder dem Ledigenheim gibt es auf Anfrage.
Fotos: Markus Sommer